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reportagen & bilder von unterwegs: touren in den alpen - introduction

 

 

 

Der berg steht, wo er steht, und ist, wie er eben ist. Er tut dir nichts böses, aber auch keinen gefallen, du bist ihm völlig egal - eine ideale voraussetzung, sich mit ihm zu beschäftigen: auf den berg zu gehen. Nun ist es aber so, wenn du im tal beim zufussgehen - wir reden nicht von der wüste gobi oder dem grönländischen inlandeis, sondern von mitteleuropa! - einen fehler machst, bemerkst du ihn eventuell gar nicht oder vergisst ihn oder korrigierst ihn. Wenn du am berg einen fehler machst, wars das dann unter umständen und lässt sich nicht mehr korrigieren. Also: der berg nimmt dich ernst, du kannst ihm schlecht dumm kommen. - Was will man mehr!

Konsequenterweise ist der berg von den bewohnern der alpenländer, soweit die beschäftigung mit ihm nicht mit dem unmittelbaren lebensunterhalt zu tun hatte, links liegen gelassen worden - was sollte es denn für einen sinn haben, auf einen gipfel zu steigen? Das hat sich um die mitte des neunzehnten jahrhunderts geändert, als parallel zur kolonialisierung afrikas und asiens von eben diesen kolonisierern auch die berge der alpen "kolonisiert" wurden: berge wurden "erobert", es ging um kampf und auseinandersetzung, um sieg und niederlage. Es herrscht das leistungsprinzip, der wettkampf zwischen nationen - welche nation hisst auf dem xxx als erste ihre fahne. Klassische beispiele  sind der europaweite hype anlässlich der wettkampfmässig stattfindenden erstbesteigung des matterhorns 1865 (jede menge tote) oder die propagandistische ausschlachtung der durchsteigung der eigernorwand 1938 (ebenfalls jede menge tote) durch nazideutschland.* Dieser geist blieb dem auf-den-berg-gehen in der folge erhalten: unter denen, die auf den berg gingen, war eher die rechte gesinnung verbreitet. Was auch im deutschen szenejargon seinen ausdruck fand: noch bis in die siebziger jahre des letzten jahrhunderts grüsste der "bergkamerad" mit "berg heil!" und wurde auf dem stützpunkt seiner alpenvereinssektion (= hütte) vom "hüttenwart" empfangen und zum "gipfelsieg" beglückwünscht. Das auf-den-berg-gehen geschah in den ostalpen in den grossdeutschen fussstapfen. Deutschland, österreich und südtirol waren die gegenden, in denen der deutsche auf den berg ging und in denen sein verein seine hütten hatte. Selbst wenn andere teile der alpen näher oder genauso nahe lagen, zum beispiel die schweiz für die baden-württemberger, verirrte sich von denen kaum einer dort hin. Der deutsche stieg auf deutsche berge, wozu ganz selbstverständlich die österreichischen und die südtiroler berge gerechnet wurden.

Als historisch und sprachlich sensibler mensch zog man es daher vor, eben diese grossdeutsch geprägten gegenden lieber zu meiden und stattdessen die berge in der schweiz, im nordwestlichen italien oder in frankreich aufzusuchen, wo einem der ostalpine blut-und bodenduft (fast) nicht in die nase stieg. Ausserdem wars dorthin von konstanz oder heidelberg sowieso näher. (Was die meisten, die in diesen städten an bergen interessiert waren, nicht davon abhielt, sich nach österreich auf den weg zu machen. Mindestens vorarlberg musste es schon sein - der konstanzer geht ins rätikon und die heidelberger hütte liegt in der silvretta!)

Die berge in den westalpen, die ja im schnitt höher aufragen und schwerer zugänglich sind als die in den ostalpen, weswegen dann auch die schutzhütten schwerer zugänglich und mühsamer zu erreichen sind, oder wie die bivacchi in den westlichen italienischen alpen reine funktionsunterkünfte sind, eng und ohne bewirtung, boten ausserdem einen weiteren nicht zu verachtenden vorteil: gruppenseelige vereinsmeier, sowohl die passive als auch die aktive version, vor allem auch mit hang zu - eher konservativem - liedgut, waren hier in der regel nicht anzutreffen.

Wir haben also immer konsequent das gebiet des ex-grossdeutschen DAV-ÖAV-kartells gemieden. Trotzdem bleibt ein grundproblem: so schön die gegend ist, so übel ist das sogenannte massenlager in den hütten. Von zwanzig leuten in einem raum schnarchen immer ungefähr fünf und mindestens zwei sind fanatische frischluftfeinde, die unvermeidlich jedes auch nur einen spalt weit geöffnete fenster zu jeder tages- und nachtzeit wieder verrammeln, sollte es ein erstickender heimlich und leise geöffnet haben.

Wir hatten uns daher im laufe der jahre angewöhnt, hütten nur noch in den zeiten anzusteuern, in denen sie nicht bewirtschaftet und damit weniger besucht sind, also ab september. In den ganzjährig geöffneten winterräumen haben wir dann eben unsere eigene hüttenwirtschaft eingerichtet: holzhacken, einheizen, das mitgebrachte essen kochen und den mitgebrachten wein trinken. Im sommer haben wir stattdessen zusätzlich zur bergausrüstung - seil, steigeisen, pickel, karabiner, klemmkeile, eisschrauben etc. - lieber unser eigenes nachtlager mitgebracht: schlafsack, isomatte, kocher und gelegentlich auch das zelt. Auch leere alphütten, leere schafställe oder geschützte plätze unter felsüberhängen waren alternativ als stegreifunterkünfte für eine verregnete nacht immer willkommen - hauptsache keine hüttenschnarcher!

Jetzt hat es aber mit dem besiegen der gipfel folgende bewandtnis: selbst der willensstärkste gipfelstürmer kann nicht mit dem kopf durch die wand, wenn ihm der liebe gott in die suppe spuckt und mieses wetter schickt. Auch die leistungsfähigsten tourengeher haben daher eine mehr oder minder grosse abbruchquote, sind aber wegen ihrer leistungsfixierung jedes mal trotzdem sauer, auch wenn ein tourenabbruch unvermeidlich war. Was bedeutet, dass sie als begleiter leider unerträglich sind. Denn in, zwischen und auf den bergen ist der aufenthalt in jedem fall eindrucksvoll und deswegen auch angenehm, so dass es zwar nett ist, gelegentlich auf dem gipfel eines viertausender zu stehen, so wichtig ist es aber auch wieder nicht. Wenn man diese einsicht mit der oben beschriebenen autarkie hinsichtlich ernährung und schlafplatz kombiniert, also zum beispiel auf einer bergwiese neben einem bach sein zelt aufgebaut hat und auf dem feuer davor einen mit knoblauch gespickten schweinebraten gart, kann man wunderbar den lieben gott einen guten mann sein lassen und das besiegen der berge herrn messner & seinen nachfahren überlassen.

Okay - so wars damals. (Die im folgenden bebilderten touren fanden ja fast alle mitte der siebziger bis in die neunziger jahre statt.) Weil der tourenturismus in der zwischenzeit aber gewaltig zugenommen hat, ist in den einschlägigen hot spots der hochalpen kein durchkommen mehr: wer auf den mont blanc will, muss jahre im voraus den schlafplatz im refuge de l'aiguille du goûter buchen, wer aufs matterhorn will, muss im wahrsten sinne des wortes am hörnligrat schlange stehen. Es dominiert das quietschbunte app-fixierte  hightech-männchen oder -frauchen, das berge als so eine art natürliche verlängerung des fitnessstudios sieht, konsum- und service-orientiert, inklusive eventueller heimholung im helikopter.

Klar - alles wird vermarktet, auch die landschaft und die berge, die "freizeit" wird dem markt unterworfen, der mensch vermarktet sich selber, der "gipfelsieg" erhöht den marktwert des "siegers" ganz ungemein, im einfachsten fall in den sozial genannten netzwerken, auf profiebene auch in finanzieller hinsicht. Will man dieser demonstrativen ausweitung der konsumorientierung auf die berge ausweichen, sollte man die zentralalpen mit ihren spaktakulären gletschern meiden - die schmelzen zur zeit sowieso alle weg, unumkehrbar, egal ob eine begrenzung des temperaturanstiegs irgendwann vielleicht doch noch gelingt - und in die peripherie ausweichen, beispielsweise die alpinen grenzgebiete zwischen italien und frankreich oder zwischen piemont und ligurien in italien. Da gibts dann keine viertausender und keine gletscher, aber eben auch - fast - keinen alles plattmachenden skitourismus oder extrem leistungsorientierten gipfeltourismus. Stattdessen stolpert man auf zugewachsenen wegen über alte, häufig auch schon lange verlassene dörfer, vom wald überwachsen, aber mit vollständig erhaltener über hundertjähriger einrichtung, zentimeterdick von staub bedeckt.(Ein paar beispiele für touren in diesen gebieten gibts im folgenden auch.)

Im übrigen gilt: wir werden alle älter und rennen nicht mehr so wild in der gegend rum. Amen!

* Die erstbegeher benötigten 1938 zu viert drei tage für die durchsteigung der eigernordwand, inzwischen gibt es kletterer die dieses geschäft im alleingang morgens in zweieinhalb stunden erledigen und dann mittags - irgendwas muss man mit dem angefangenen tag ja machen - noch schnell die matterhornnordwand hochzischen. Alberner gehts ja wohl nicht mehr! An die stelle des peinlichen wettstreits zur höheren ehre des vaterlands ist der peinliche wettstreit zu ruhm und ehren (?) für die eigene person getreten. Kein Zweifel (sportfans weghören!): Unreif! Wichtigtuerisches Machogehabe! Setzen! Sechs! - Gehts auch anders? Edmund Hillary, imker aus neuseeland, und tensing norgay, sherpa aus nepal, standen 1953 als erste menschen auf dem gipfel des mount everest (8850 m). Edmund hillary, inzwischen sir edmund hillary, liess es damit gut sein und kümmerte sich hinfort um soziale und infrastrukturprojekte für die sherpa in nepal (zitat: "der wichtigste teil meines lebens.")

Infos: hervorragend sind die bücher von werner bätzing, prof.em. für kulturgeografie.

 

 

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