Die
Geschichte von ANNAS plötzlichem Verschwinden
Wie ihr alle wißt, verschwinden dauernd Menschen:
die meisten hauen einfach ab, weil es zu Hause gar zu heftig
zugeht, weil sie ewig besoffene Eltern oder Partner haben,
manche, deren Eltern geschieden sind, werden einfach von
einem Elternteil entführt (- jaja, das gibts!...und
einige werden auch von bösen Männern umgebracht!)
Und eines Tages war auch ANNA verschwunden. Darüber
waren alle sehr traurig, weil ANNA so überaus nett
war, dass alle, aber auch wirklich alle, sie über alle
Maßen gern mochten!
Und eigentlich wäre die Geschichte hier jetzt schon
zu Ende - ANNA wäre in der Schublade "Ungeklärte
Fälle: verschwundene überaus nette kleine Mädchen"
gelandet,.... wenn nicht, ja, wennnn nicht....!
Ja, wenn mir da nicht gestern Abend ein kleiner Zwerg über
den Weg gelaufen wäre, bzw. eigentlich bin ich ja auf
ihn getreten - aus Versehen natürlich! -, und ich ihn
nicht eingesteckt hätte, und er nicht zu jammern angefangen
hätte, ich solle ihn gefälligst wieder freilassen,
und ich ihm nicht gesagt hätte, er solle mir erst mal
erklären, was er eigentlich mitten in der Nacht auf
der Neckarwiese zu suchen gehabt hätte, und er mir
daraufhin nicht gesagt hätte, er sei nur so lange auf
der Neckarwiese gewesen, weil er Zeuge eines ganz hundsgemeinen
Verbrechens geworden sei, und wenn ich nicht daraufhin gesagt
hätte, das glaubte ich nicht, das sei die übliche
Großsprecherei von Zwergen, und er nicht daraufhin
gesagt hätte "gar nicht wahr!", und - damit
ich ihm glauben sollte - er mir nicht die ganze Geschichte
erzählt hätte - ja, wenn das alles nicht passiert
wäre, dann wüßte ich jetzt gar nicht, was
aus ANNA geworden ist. (Aber wenn ich recht überlege:
eigentlich weiß ich es ja gar nicht, weil die ganze
Geschichte bloß eine von einem miesen kleinen wichtigtuerischen
Zwerg erlogene Geschichte ist!!)
Also, der Zwerg behauptet, das sei so gewesen: Er hätte
gesehen, wie ANNA - und da fing er an, mir erst mal zu beschreiben,
wie ANNA aussähe, und fing an zu schwärmen, wie
nett sie sei und wie clever, und konnte gar nicht mehr aufhören,
bis ich ihm sagte, er solle gefälligst endlich zur
Sache kommen, statt mir von kleinen Mädchen vorzuschwärmen
- er hätte also gesehen, wie ANNA - und schon wieder
fing er an, die Augen zu verdrehen und wahre Wunderdinge
über ANNA von sich zu geben! - "Schluß,
endlich Schluß!" sagte ich zu ihm, "komm
jetzt endlich zur Sache, sonst gibts morgen bei mir Zwerg-au-vin",
was ihn endlich zur Vernunft brachte! - er hätte also
gesehen, wie ANNA so gegen neun Uhr abends auf die Neckarwiese
gekommen sei - und zwar in Begleitung des großen bösen
grauen Wolfs! - "Bei dir tickts wohl nicht richtig!"
unterbrach ich ihn auf der Stelle, "den gibts doch
gar nicht, höchstens im Micky Maus-Heft oder im Märchen,
wo er im übrigen nicht hinter kleinen Mädchen
her ist - vergessen wir mal das erbschleicherische Rotkäppchen,
bei dem im übrigen erst mal geklärt werden muss,
wer da hinter wem her ist -, sondern ausschließlich
hinter kleinen Schweinen oder Ziegen!" - Aber er bestand
darauf, es sei der böse graue Wolf gewesen, und er
hätte auch gehört, wie ANNA ihn so angesprochen
hätte. - "Kleine Mädchen bilden sich oft
die komischsten Sachen ein!" unterbrach ich ihn wieder.
"Aber egal, erzähl weiter!" Also, und dann
hätte er gesehen, wie der böse graue Wolf ANNA
angegrapscht hätte, und gehört, wie er rumgesülzt
hätte, wie toll er sie fände, und dass er sie
zum Fressen gern hätte! "Und ANNA ist nicht auf
der Stelle weggerannt? - das glaubt doch kein Mensch, und
auch kein Zwerg!" platzte mir da der Kragen. "Wenn
deine ANNA wirklich so ein Wunderkind ist, wie du sie immer
schilderst, dann wird sie grad so blöd sein, auf den
großen grauen bösen Wolf reinzufallen - was ja
schon allein deswegen nicht geht, weil es ihn nämlich
gar nicht gibt!" Aber der dämliche Zwerg ließ
sich durch meine einleuchtende Argumentation nicht im geringsten
beirren! - Und nach weiteren wirren und natürlich völlig
unglaubwürdigen Schilderungen dessen , was zwischen
ANNA und dem - eigentlich ja gar nicht existierenden - großen
bösen grauen Wolf noch alles vorgefallen sei, verstieg
er sich endlich zu der Behauptung, zum Schluß hätte
der große böse graue Wolf das Tischtuch - welches
Tischtuch? wie kommt ein Tischtuch auf die Neckarwiese?
- über sich und ANNA gezogen, und als er es wieder
weggezogen habe, sei ANNA nicht mehr da gewesen. Er habe
also wirklich ANNA aufgefressen! - "Dein dämliches
Geschwafel widert mich an!" sagte ich zu dem Zwerg
- "hau endlich ab! Solche hirnrissigen Geschichten
kannst du vielleicht deinem Frisör erzählen, mir
jedenfalls nicht!"
Ich glaub kein Wort davon! - Und Du, Anna?
©story
& fotos günter krämmer
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