über 
                die sache ist gras gewachsen. - das ist in auschwitz keine metapher.
              
              wie 
                es hier auszusehen hat, ist bekannt - das foto! - der blick 
                geht entlang der gleisstränge, in die sich das einspurige 
                zubringergleis nach dem lagertor auffächert, zu diesem hinter 
                ihnen aufragenden tor, groß, schwarz, drohend, die flächen 
                neben den gleisen: öde, leer, kalt. formal-fotografisch 
                ausgedrückt: schwarzweiß, hohe kontraste, grobes korn.
              mit 
                diesem bild im kopf betrete ich das gelände des ehemaligen 
                vernichtungslagers auschwitz-birkenau an einem sonnigen maitag 
                des jahres 2002. - vor mir liegt eine riesige frühlingswiese, 
                voller blumen, mittendrin ein paar rehe, darüber schwebt 
                der allen frühlings- und sommerwiesen eigene gesang der lerchen!
              und: 
                das lagertor ist im hellen licht des frühlingstages nichts 
                anderes als eine schäbige, aufgestockte baracke, unter der 
                eben gerade ein zug durchpasst. hier wirkt gar nichts mehr bedrohlich, 
                und auch nicht groß, und schon gar nicht in irgendeiner 
                tragischen weise großartig. - ich glaube zu verstehen: hier 
                war nie die dämonische todesfabrik, die uns die kz-ikonografie 
                nahelegt, hier war immer nur eine banale und schäbige barackenansammlung, 
                die verwaltungs- und wachgebäude eingeschlossen, an der zu 
                allererst eines auffällt: die mit der sprichwörtlichen 
                deutschen gründlichkeit und der damit einhergehenden unduldsamkeit 
                gegenüber abweichungen von der norm durchgeführte anlage 
                des lagers aus sich immer wiederholenden identischen einheiten, 
                bezeichnet als lager I , lager II und so fort. ganz offensichtlich 
                hat nämlich diese - irgendwie provisorisch anmutende - barackenstadt, 
                so schäbig, wie sie war, völlig ausgereicht , den ihr 
                zugedachten zweck zu erfüllen: als schlachthof zu dienen, 
                in dem menschen in beliebiger zahl mit einem minimalen aufwand 
                an ressourcen umgebracht werden können. 
              aber 
                das ist etwas, was ich weiß. - was ich sehe, ist etwas anderes, 
                etwas scheinbar ganz banal-normales - eine mitteleuropäische 
                frühlingslanschaft mit allem, was dazugehört, von den 
                blumen bis zum vogelgezwitscher. und die unabweisbare frage, was 
                ich hier eigentlich zu suchen habe, bekommt einen neuen, einen 
                anderen als ihren bisherigen moralischen sinn: dieser tag öffnet 
                mir die augen und macht mir ein für alle mal klar: auschwitz 
                liegt und lag nicht in irgendeiner hinterpolnischen einöde, 
                sondern inmitten einer normal dicht besiedelten mitteleuropäischen 
                kulturlandschaft. und nicht außerhalb unserer welt mit ihrem 
                naturgegebenen ablauf der jahreszeiten, in einer gleichsam unirdisch 
                kälteren welt.- und es wird mir auch demonstriert: der natur 
                ist es egal, was hier vorher war: sie lässt in jedem fall 
                gras - und immer dasselbe gras - darüber wachsen!
              
              während 
                die eingeführte kz-ikonografie - mit der besten absicht - 
                versucht, die materiellen überreste des holocaust formal 
                in einer weise zu verwenden, dass sie als sinnbilder des schreckens 
                taugen, erreicht sie aber etwas anderes: auschwitz wird uns vom 
                leib gehalten als etwas außerirdisch böses, schon daran 
                zu erkennen, dass es anders aussieht als die dinge unsere welt, 
                dass dort gleichsam andere naturgesetze herrschen.
              
              ein 
                anderes ding ist die Beobachtung, dass auch die besucher hier 
                geradezu peinlich normal sind: die geführten besuchergruppen 
                benehmen sich genauso wie sich solche gruppen überall auf 
                der welt benehmen, wo sogenannte sehenswürdigkeiten zu finden 
                sind. - im stammlager auschwitz sehe ich den japanern zu, wie 
                sie sich gruppenweise vor der "schwarzen wand" fotografieren, 
                an der tausende von häftlingen von der ss erschossen wurden, 
                wie es auch eine dort angebrachte tafel in fünf sprachen 
                erklärt. - in auschwitz-birkenau höre ich zwei amerikanischen 
                juden zu, die die rampe, auf der die züge entladen und die 
                menschen für die gaskammer selektiert wurden, entlangschlendern 
                und sich laut über ihr hotel und ihre reiseumstände 
                unterhalten. - im weitesten sinne wächst hier offensichtlich 
                gras über die sache.
              
              um 
                meine frage von vorhin wieder aufzugreifen und zu erweitern: was 
                habe ich hier eigentlich mit der kamera zu suchen? - die antwort 
                habe ich schnell parat: ich nähere mich der welt, wenn sie 
                mir nicht gerade in buchform entgegentritt, grundsätzlich 
                mit der kamera! - also gut: lasse ich mir diese begründung 
                auch hier durchgehen! bloß nützt mir diese antwort 
                konkret nichts: ich muß ja entscheiden. was ich fotografiere 
                und wie ich es fotografiere!
              bin 
                ich hier dabei, etwas zu fotografieren, was ich sehe, oder fotografiere 
                ich nicht vielmehr, was ich weiß? mache ich - bewußt 
                oder unbewußt - bilder, die meinen - und der meisten anderen 
                - vorstellungen entsprechen, wie ein konzentrationslager abgebildet 
                zu werden hat, oder mache ich bilder, die zeigen, was ist? (s. 
                dazu z.b. reinhard matz rechts in der literaturliste) - geht das 
                überhaupt? ist auschwitz nicht eher etwas, was man wissen 
                muß, nicht etwas, was man sehen kann?
              ich 
                werde versuchen, an einem beispiel zu erklären, worum es 
                geht. die krematorien mit den angeschlossenen gaskammern wurden 
                in auschwitz kurz vor kriegsende von der ss gesprengt und sind 
                entweder trümmerhaufen oder existieren noch in form ihrer 
                grundmauern. da sie halb in die erde hineingebaut waren, mußten 
                die gaskammern über treppen betreten werden, die schräg 
                nach unten - sozusagen in den keller - führten. diese treppen 
                sind noch vorhanden. man kann sie auch hinuntergehen - niemand 
                außer Ihnen selbst wird Sie daran hindern! man kann sie 
                auch fotografieren, zum beispiel auch von unten nach oben, gegen 
                den himmel. - wer dieses foto betrachtet, und nichts von auschwitz 
                weiß, oder nicht weiß, wo es gemacht wurde, sieht 
                nichts als eine mehr oder minder malerische steintreppe. mit anderen 
                worten: dieses foto ist ohne zusätzliche information sowieso 
                sinnlos. - aber hat es mit der zugehörigen information einen 
                sinn? anders gefragt: welche fotos machen hier überhaupt 
                sinn? es könnte doch sein, dass hier nur solche fotos sinn 
                machen, die einen konkreten zweck erfüllen, der außerhalb 
                ihrer selbst liegt, die also gar keine eigenständigen fotos 
                im klassischen sinn ( "ein gutes foto braucht keine erklärung") 
                sind?
              hier 
                gibt es jedenfalls keine möglichkeit, nicht zur kenntnis 
                zu nehmen, dass die herstellung eines fotos immer ein verwandlungsprozess 
                ist, in dem aus einem realen gegenstand oder geschehen ein objekt 
                gemacht wird, das unter anwendung ästhetischer kriterien 
                hergestellt, angesehen und beurteilt wird! - genau das ist schon 
                immer das grundproblem der dokumentar- und reportagefotografie. 
                (wie soll man das verstehen, dass z.b. kodak einen wettbewerb 
                "pressefoto des jahres" ausschreibt und den ersten preis 
                dann einem besonders gelungenen foto von einem verhungernden kind 
                im sudan zuerkennt?)
              diesem 
                dilemma entkommt niemand, der fotos macht oder mit fotos arbeitet. 
                auch nicht, wenn er sich für eine "arme" ästhetik 
                entscheidet: schwarzweiß, ungefällig und was für 
                formale mittel auch immer es da gibt - ein foto bleibt ein foto!
              
              in 
                auschwitz-birkenau findet man an plätzen, die für die 
                funktion des lagers von bedeutung waren, erklärende tafeln. 
                auf vielen dieser tafeln sind vergrößerte reproduktionen 
                der wenigen originalfotos, die es vom betrieb des lagers gibt, 
                zu sehen, wahrscheinlich um dem besucher zu sagen: so sah es hier 
                früher aus! was aber bei dieser konfrontation der historischen 
                fotos und ihrer art der ausstellung mit dem gelände des lagers 
                und seinen überresten entsteht, ist eine ganz spezifische 
                eigenständige ästhetik. die frage lautet daher nicht, 
                kann ich fotos machen, die nicht ästhetischen gesetzen unterworfen 
                sind, sondern: ist die art der verwendung und präsentation 
                der fotos angebracht und angemessen?
              
              zurück 
                zur metapher vom gras, das über eine sache wächst: als 
                ich das gelände von auschwitz-birkenau am abend verließ, 
                um in den ort oswiejcim zurückzugehen, habe ich nicht die 
                straße benützt, sondern bin entgegen der zufahrtsrichtung 
                dem bahngleis nachgegangen, das von der hauptstrecke in einem 
                kilometerlangen bogen durch die felder auf das tor des lagers 
                zuläuft. auch über dieses gleis ist in vielerlei hinsicht 
                gras gewachsen: zuerst im wörtlichen sinn, aber auch in dem 
                sinn, dass es als nicht benütztes bahngleis für die 
                anwohner andere funktionen erfüllt. an einer stelle dient 
                es einem bauern als parkplatz für sein auto, an einer andern 
                haben die bewohner eines kleinen im freien feld liegenden gehöftes 
                einen tisch mit stühlen und sonnenschirm auf diesem ebenen 
                platz aufgebaut, der ihnen offensichtlich als für diesen 
                zweck gut geeignet erschien, und auf dem die eingesunkenen gleise 
                auch kaum noch zu sehen sind.